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Freilufttraining in der Halle durch 70 m Simulation

Das Problem

Viele Bogenschützen stehen Jahr für Jahr dem gleichen Problem gegenüber: Die Deutsche Meisterschaft in der Halle setzt bereits Anfang März einen Schlussstrich unter die Wintersaison, die Liga ist zu dem Zeitpunkt bereits abgeschlossen und sonst stehen keine wichtigen Wettkämpfe in der Halle mehr an. Man möchte sich also am liebsten schon auf die Sommersaison vorbereiten, die Temperaturen lassen ein Training im Freien aber noch lange nicht zu. Dazu kommt, dass schon im April die ersten Wettkämpfe anstehen und man hier oft nur auf ein oder zwei Wochen Training kommt, wenn das Wetter sehr schlecht ist vielleicht noch weniger.

2011 wurde das Problem für mich in dadurch verschärft, dass Ende April die Deutsche Hochschulmeisterschaft in Hannover ausgetragen wurde und dieser Wettkampf für mich besonders wichtig war. Zwar ist die DHM nicht mit der „echten“ Deutschen zu vergleichen aber von der Leistung war  der Wettkampf doch über der Landesmeisterschaft anzusiedeln, die ja frühestens im Juni stattfindet. So früh im Jahr einen so wichtigen Wettkampf zu schießen hieß also für mich: Ich muss mir was einfallen lassen. Dabei ist eine Möglichkeit der 70 m Simulation für die Halle herausgekommen.

Theorie

Was unterscheidet die Freiluft- zur Hallensaison? Zum einen natürlich das Wetter und zum anderen die Entfernung. Das Wetter kann ich in der Halle nicht simulieren, die Entfernung aber sehr wohl. Vor allem ändert sich nämlich die Haltung durch einen geänderten Winkel des Bogenarms, wenn man den Bogen höher halten muss. Diese Haltung ist nach einer langen Hallensaison immer wieder sehr ungewohnt und das Gefühl normalisiert sich bei mir erst nach ein bis zwei Wochen Freilufttraining. Ich möchte also am liebsten in der Halle den Bogen schon in dem gleichen Winkel schießen wie auf 70m. Am besten gleich schon nach der Deutschen Meisterschaft.

Ich stelle mich also in der Halle an die Schießlinie, stelle meinen Bogen (und das Visier) auf 70 m ein und fange an zu schießen. Wenn ich mich nicht zum Feind des Hallenwartes machen möchte, weil ich ganze Gruppen meterweit über die Scheiben in die Hallenwand feuere, muss irgendwo in die Flugbahn meiner Pfeile eine Scheibe gestellt werden. Mir ist ja egal wo ich treffe, weil ich nur die Haltung trainieren möchte, also ist auch egal wo diese Scheibe hinkommt. Auf 18m müsste ich die Scheibe sicherlich 3-4 m hoch aufhängen, was ziemlich unpraktisch wäre. Also stelle ich die Scheibe so nah wie möglich an den Schützen ran, bevor die Pfeile also überhaupt an Höhe gewinnen können. Zur Verdeutlichung diese Zeichnung:

Mit einem solchen Aufbau kann die Haltung des Bogenarms auf den langen Distanzen geübt werden, und dass in seiner gewohnten Trainingshalle. Die Scheibe muss dabei auf 5 m schon etwas erhöht aufgestellt werden, gerade Schützen mit weniger Zuggewicht werden sonst mit ihrer 70 m Einstellung selbst auf der kurzen Distanz schon über die Scheibe schießen.

Jetzt wird es schon etwas komplizierter: Ich hätte gerne auf der 5 m Scheibe eine Auflage, die im Visier genau so aussieht wie die 122er Auflage auf 70m. Dazu muss diese einfach nur ausreichend klein sein. Wie klein, kann ich mir einfach mit dem Strahlensatz herleiten (jeder Feldschütze sollte nun schon die Formel im Kopf  haben). Wenn ich die Auflage im Visier auf 5m so groß sehen möchte wie ich eine 122er auf 70m sehe, muss diese einen Durchmesser von d = 5/70 * 122 cm = 8,7 cm haben. Analog kann ich mir die Auflagengröße für andere Entfernungen ausrechnen. Zum Beispiel für 3 m: d = 3/70 * 122 cm =  5,2 cm. Oder grafisch dargestellt:

Natürlich gibt es diese Auflagen nicht zu kaufen, aber man kann sie sich selbst drucken. Aus diesem Grund habe ich diverse Vorlagen erstellt mit denen sich die Auflagen mit einem ganz normalen Drucker auf DIN A4 Papier drucken lassen. Es gibt verschiedene Archive zum Download, um z.B. auch andere Entfernungen als 70m zu simulieren: 90m, 60m und 40m (60m und 40m sind für die Schüler- und Jugendklasse, es wird bei allen eine 122er Auflage skaliert). Ebenfalls dabei sind jeweils verschiedene Versionen, man kann damit seine Simulation auf 5m, 4m oder 3m durchführen. Varianten mit 5 statt 6 Auflagen pro Seite sollen nicht (nur) den olympischen Gedanken beim Training unterstreichen soll sondern haben allem den Vorteil, dass der vertikale Höhenunterschied zwischen den Auflagenmitten nicht so groß ausfällt.

Archiv mit Auflagen für die Simulation von 90m (1,2 MB)
Archiv mit Auflagen für die Simulation von 70m (1,0 MB)
Archiv mit Auflagen für die Simulation von 60m (0,8 MB)
Archiv mit Auflagen für die Simulation von 40m (0,4 MB)

Eine Sache fehlt noch damit die Theorie vollständig wird, und das ist die Höhe der Auflage. Auch hier hilft wieder der Strahlensatz:

Jeder Schütze dessen Augenhöhe entweder über oder unter der normalen Scheibenmitte in 1,30m Höhe liegt (bei den meisten wird sie darüber liegen, immerhin müsste der Schütze sonst deutlich kleiner als 1,50 m sein) zielt in einem gewissen Winkel auf die Scheibenmitte „herunter“. Berechnet wird der Winkel über arctan(Differenz der Augenhöhe zu 1,30 m / Entfernung).

Auf 70 m ist dieser Winkel für den Musterschützen von 1,80 m (Augenhöhe = 1,68 m) vernachlässigbar klein, nämlich arctan(0,38 m / 70 m) = 0,3°. Auf 5 m sieht das ganze aber schon anders aus. Hier sind es arctan(0,38 m / 5 m) = 4,3°.

Wenn ich also die Auflage auf 5 m auf die gewohnten 1,30 m hänge, mache ich den gewünschten Effekt wieder zunichte, weil ich trotz Visiereinstellung für 70 m den Bogenarm weiter runter nehme als im Freien. Knapp 5° mögen jetzt nicht viel klingen, es ist aber enorm viel. Zum Vergleich: Wenn das Visier einen Meter vom Auge entfernt ist (kommt gut hin, bei Feldschützen meist sogar exakt) entsprechen 9 cm Höhenunterschied auf dem Visier einem Winkel von 5°. Bei Schützen mit hohem Zuggewicht ist das vielleicht schon mehr als sie zwischen 18 m und 70 m verstellen müssen.

Die Auflage muss daher nicht mehr auf 1,30 m Höhe hängen, sondern dort, wo die gedachte 70 m Sichtlinie des Schützen die 5 m Scheibe trifft (siehe Bild). Wer diese Methode nun im Training ausprobieren möchte, muss aber deshalb nicht gleich zu Stift und Taschenrechner greifen und sich seine persönliche Auflagenhöhe berechnen. Die beschriebene 70 m Sichtlinie trifft schon so früh auf die 5 m Scheibe auf, dass sie dabei erst wenige Zentimeter abgefallen ist. Berechnen kann man das wieder mit dem Strahlensatz (38 cm * 5 m / 70 m) oder über den Winkel ( 5 m * arctan 0,3° ). Im Falle des 1,80 m Schützen sind es weniger als 3 cm, selbst bei 2,20 m Riesen werden es gerade 5 cm. Ich hänge mir die Auflage einfach per Augenmaß zwei Finger breit unter Augenhöhe, genauer muss es beim besten Willen nicht sein.

Praktische Umsetzung

Es folgen ein paar Bilder der praktische Umsetzung im Training. Die Bilder sind spontan mit einer Handykamera entstanden und daher ziemlich schlecht, ich versuche möglichst bald bessere Aufnahmen nachzuliefern.

Das Erhöhen der Scheibe ist ganz einfach durch Deckel von Turnkästen möglich, wie folgendes Bild zeigt. Es bietet sich natürlich alles an worauf die Scheibe sicher stehen kann.

Mittlerweile bin ich dazu übergegangen, zwei Ebenen der Turnkästen unter die Scheibe zu stellen, um sie noch höher zu setzen, der Rand der Scheibe kam einfach bedenklich nahe. Bei Schützen mit weniger Zuggewicht wird dies sicher früher nötig sein. In den nächsten zwei Bildern sieht man wo die Pfeile treffen, wenn ich mit meiner Einstellung für 70 m auf die Auflagen schieße ( 43,5 lbs, 30,5 Zoll Auszug, Easton ACE):

Ich habe 6 Auflagen auf die DIN A4 Seite gesetzt. Ich rate jedem auch auf mindestens drei dieser Zielpunkte zu nutzen und nicht nur einen einzigen. Man gruppiert auf 5m verständlicherweise ziemlich gut, wenn man hier bei mehr als 2 Schüssen auf die gleiche Auflage zielt macht man sich seinen schönen Satz Carbonpfeile sicher schon vor Beginn der Sommersaison kaputt.

Man braucht pro Schützen im übrigen nur eine einzige Auflage. Die Auflage bekommt bei richtiger Anwendung nur Löcher von den Scheibennägeln und kann so unbegrenzt genutzt werden.

Und hier meine Haltung beim Training auf die Auflage:

Fazit – Wofür das ganze?

Die Frage ist nun: Ist das nötig? Bringt das was? Sicher werden einige sagen: „Ich brauche nur einen Trainingstag und ich bin auf den langen Distanzen wieder drin“. Wer das von sich behaupten kann, kann sich den Aufwand sicher sparen. Wie schon erwähnt zähle ich mich nicht zu der Gruppe.

Meine Erfahrung aus dem Jahr 2011 ist: Es funktioniert. Nachdem ich dieses Training zum Ende der Hallensaison mehrere Wochen absolviert hatte war meine Form schon sehr früh in der Saison auf einem guten Level, bei der Deutschen Hochschulmeisterschaft Ende April habe ich sogar meine Jahresbestleistung erzielt. Mich würde auf jeden Fall interessieren ob andere Schützen dieses Training für ähnlich hilfreich halten oder auch nicht, ich freue mich immer über Kommentare. Selbst werde ich zur kommenden Freiluftsaison das Programm erneut durchziehen und sehen, ob ich mit dieser Methode den Trainingserfolg wiederholen kann.

Ganz entscheidend ist bei dieser Trainingsmethode aus meiner Sicht, dass man zwar das Gefühl einer echten 122er Auflage im Visier hat, aber keine Rückmeldung über Treffer bekommt. Man kann also das übliche Auflagentraining auf 70m durchziehen und jegliche Gedanken „wo liegt meine Gruppe“ oder „wie gut ist meine Streuung“ fallen weg. Hier sollte eine deutlich bessere Konzentration auf die Technik möglich sein. Vielleicht könnte man dieses Training also auch im Sommer, während der Freiluftsaison hin und wieder einstreuen, um Technikfehler bei wettkampfnahen Bedingungen besser zu korrigieren.

Jörg Pfeiffer hat mich darauf hingewiesen, dass die Amerikanischen Spitzenschützen scheinbar ganz ähnlich trainieren. In einem Video bei Youtube ist zu sehen, dass sie sich dafür Scheibenständer um etwa einen Meter höher gesetzt haben um dann aber mit einer Visiereinstellung für kurze Distanzen in die Mitte zu zielen. Diese Methode unterscheidet sich leicht von meiner, verfolgt aber im Prinzip die gleiche Idee. Ab ungefähr einer Minute kann man diese Technik sehen:

Alle Zeichnungen, Bilder und der Text sind lizenziert unter der Creative Commons Lizenz by-nc. Ich freue mich über einem Backlink zu meiner Seite wenn der Artikel oder die Bilder an anderer Stelle genutzt werden.

4 Kommentare

  1. pitsch pitsch

    Hi Tilmann,
    Vielen Dank für den Tipp, letzten Winter hab ich noch überlegt wie ich eine 2 Scheibe über der eigentlilchen Scheibe befestigen kann, damit ich nach der DM mit dem 70m Training anfangen kann. Das werde ich unmittelbar nach der DM ausprobieren. Super
    LGR Pitsch

  2. Na also, ich war also wirklich nicht der einzige der dieses Problem hatte!

  3. Melanie Melanie

    Hallo Tilman,

    erst gestern unterhielt ich mich über dieses „Haltungsroblem“ das jedes Frühjahr wieder auf mich zukommt.
    Ich danke Dir für diesen Beitrag und werde es im nächsten Jahr auch mal ausprobieren.
    Melanie

  4. Hallo Tilman,
    gute Idee -- werde ich diese Saison mal ausprobieren.

    Mit musikalisch treffsicheren Grüßen aus Stuttgart
    Bernd

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